Dieses Stück ersetzt den herkömmlichen Orchesterapparat durch Tonbänder. Die universelle Ausdrucksfähigkeit der menschlichen Stimme gepaart mit dem unüberschaubar reichen Reservoir an Klängen in der elektronischen Musik lässt die Hoffnung zu, in neue Regionen dieser Musikgattung vordringen zu können. Diese, für ein Requiem bisher nicht verwendete Kombination enthält eine Vielzahl instrumentatorischer Möglichkeiten zwischen vollkommener klanglicher Verschmelzung und höchster Gegensätzlichkeit.
Die verwendeten Klänge basieren auf drei verschiedenen Materialgruppen: Da sind zunächst Instrumentensamples, die nahezu unverändert verwendet werden und der Tonhöhenorientierung der Sänger dienen. Klänge aus dem Umfeld animistischer Trauerriten, wie z. B. dem Zerreißen von Kleidern (Gen 37,34), dem Geschrei der Klageweiber sowie Klänge aus dem metaphorischen Umfeld von Trauer und Vergänglichkeit wie raschelndes Laub, gleichförmiger Regen, Posaunenchor etc. sollen bestimmte theatralische und assoziative Momente des Rituals hervorheben. In der dritten Gruppe werden Klänge aus elektronischen Werken des Komponisten der letzten zehn Jahre, von denen sozusagen mit diesem Stück Abschied genommen wird.
Durch die Verwendung mehrerer Lautsprecher in unterschiedlichen Positionen und dynamischen Abstufungen ist es möglich, die Kirche in ihrer spezifischen architektonischen Räumlichkeit zum Klingen zu bringen und so die Bedeutung des Ortes für ein solches Stück kompositorisch darzustellen. Durch die verschiedenen Entfernungen und Richtungen der Lautsprecher lassen sich nicht nur Erinnerungen als Distanzen des Hörens darstellen sondern auch verschiedene akustische Kulissen kreieren, die den Gesang in unterschiedlichste, klangliche Kontexte bringen.
Die Tonhöhen des Stückes beruhen im weitesten Sinne auf den chiromantischen Deutungen von Handproportionen Albrecht Dürers, der diese in seinem Dresdner Skizzenbuch als harmonische, d.h. ganzzahlige Verhältnisse abbildet.

Ein Ausschnitt dieser Proportionen wird um eine zentrale Achse angeordnet. Diese zentrale Achse (hier als d1) kann nun beliebig verschoben werden. So entstehen verschiedene harmonische Felder (Ausschnitte der Obertonreihe zwischen dem 4. und 7. Oberton) die zu unterschiedlichsten Akkordgebilden kombiniert werden können. Jedem der liturgischen Abschnitte des Requiems ist eine solche Achse zugeordnet.

Die Kompositionsmethoden dieses Stückes sind als Analogien aus dem thematischen Umfeld des Requiems abgeleitet. Im Folgenden sind einige Beispiele aufgeführt:
Das Vergessen, das mit dem Tod beginnt, ist wie das Ausbleichen von Fotos: Das Gesamte wird unschärfer, nur bestimmte Elemente bleiben erhalten:




Diese Entwicklung wird kompositorisch übersetzt, indem in der Wiederholung einzelner Passagen bestimmte Töne weggelassen werden, eine extreme Dynamik allmählich nivelliert wird oder die Töne in immer enger werdenden Registern begrenzt werden. In der Sequenz wird sie durch den Einsatz von Diktaphonen dargestellt, mit deren Hilfe, gerade vergangene Passagen mit geringer klanglicher Auflösung in Erinnerung gerufen werden.
Die Darstellung des Todes als plötzlicher Einschnitt in das Leben und die damit verbundene Fokussierung auf das existenziell Wesentliche wird in diesem Stück auf den Umgang mit Ablösungen von Tutti- und Solostellen übertragen.
Hier der schematische Entwurf eines Tonhöhenverlaufs, bei dem Töne sukzessiv zu einem Akkord gesammelt wird, der dann nach einem abrupten Abbruch nur noch eine Stimme (solo) übrig lässt.
