Seminar Mathematik und Musik WS 95/96 Prof. Behrends FU Berlin

Kurzprotokoll der vierten Sitzung am 12.12.1995

von Reinhold Friedl

Kurze Einführung in die "Markov-Ketten" von Herrn Prof. E. Behrends, FU
Orm Finnendahl zur Verwendung von Markov-Ketten in seiner Musik

Prof Behrends erläuterte kurz Grundlagen der mathematischen Wahrscheinlichkeitstheorie. Wenn p die Wahrscheinlichkeit für das Eintreten irgendeines Ereignisses ist, so wird p gewöhnlich mit einer Zahl zwischen Null und Eins beschrieben, wobei die Summe aller Wahrscheinlichkeiten aller möglichen Ereignisse gleich eins sein sollte.

Bei einer sogenannten Markov-Kette betrachtet man nun nicht nur einen Zustand, der mit gewissen Wahrscheinlichkeiten irgendwelche Ereignisse zeitigt, sonden eine Menge von Zuständen oder "Punkten" die nach vorgegebenen Wahrscheinlichkeiten ineinanderübergehen. Für jeden einzelnen Punkt gibt es also eine Vorschrift, mit welcher Wahrscheinlichkeit er zu anderen Punkten übergeht, wobei natürlich wiederum die Summe der Wahrscheinlichkeiten an einem Punkt gleich eins sein muß. Mathematisch läßt sich dies beschreiben, indem p die Wahrscheinlichkeit darstellt, vom Punkt i nach Punkt j zu gehen, wobei eben die Summe(p(ij)) = 1 ist. In naheliegender Weise läßt sich solch ein System vollständig in einer Tabelle darstellen, die sich als quadratische Matrix auffassen läßt, deren Spaltensummen alle gleich eins sind. In der Theorie der Markov-Ketten wird nun versucht, die wesentlichen Eigenschaften der Markov-Ketten auf algebraische Eigenschaften dieser Matrizen zurückführen.

Zudem läßt sich, anschaulich gesprochen ein Gedächtnis simulieren indem man die Wahrscheinlichkeiten zum nächsten Punkt überzugehen, nicht nur vom momentanen Zustand abhängig macht, sondern von Punkten, die bereits durchlaufen worden sind. p(ijk) könnte derart die Wahrscheinlichkeit beschreiben, daß ein Punkt an der Stelle j, der von i "kam" nun nach k geht.

Naheliegenderweise läßt sich solch ein System beispielsweise direkt auf Tonhöhen anwenden, so daß mit bestimmten Wahrscheinlichkeiten ein Ton, etwa abhängig von den beiden vorangegangenen Tönen, zum nächsten fortschreitet.

Orm Finnendahl skizzierte im Anschluß einen historischen Abriß der Verwendung von Markov-Ketten in der Musik. Bereits Markov hatte den Versuch unternomen, auf diese Art und Weise sinnvolle Texte zu generieren und in der Musik spielten sie bereits im Umkreis der Informationstheorie in den 5Oer Jahren eine Rolle. In diesem Zusammenhang wies Prof. Fiedler darauf hin, daß die in der dritten von Gullivers Reisen beschriebene, mit Hilfe von vielen Studenten betriebene Maschinerie zur Texterzeugung (als Persiflage auf das danalige Bildungssystem) ebenfalls auf einer Markov-Kette beruht. In der Musik griffen Komponisten wie Lejaren Hiller oder Gottfried Michael König in den 60ern auf sie zurück.

Orm Finnendahl stellte ein sehr anschauliches Beispiel seiner eigenen Verwendung von Markov-Ketten vor. Als Eingabe verwendet er ein musikhistorisches Originalstück, dessen harmonische Fortschreitungen vom Programm nach der Häufigkeit ihres Auftretens in Wahrscheinlichkeiten umgedeutet werden, um so die eingegebene "Kette" von Klängen unter Verwendung dieser Wahrscheinlichkeiten weiterzuführen. Natürlich bleibt das Erzeugnis dieses Verfahrens umso näher am Original, je größer die Länge der Teilkette (des "Gedächtnisses") ist, von der die Wahrscheinlichkeit des neues Erzeugnisses abhängt. Analog läßt sich solch ein System etwa auf Kontrapunktstrukturen anwenden und sich derart die klangliche Oberfläche stilistischer Vorgaben simulieren. Ausdrücklich wies Orm Finnendahl daraufhin, daß formale und architektonische Aspekte der originalen Musik bei diesem Verfahren verloren gehen.

Zur eigenen kompositorischen Verwendung verwendet Finnenddahl ein Modell, daß sich in Echtzeit vom Computer realisieren läßt, wobei er ob der Kürze der Zeit nicht auf programiertechnische Feinheiten eingehen konnte und so lediglich darauf hinwies, daß es ob des begrenzten Speicherplatzes nicht sinnvoll ist, diese Vorgänge mit Matrizen zu beschreiben und er deshalb auf eine Art Baumstruktur zur Implementierung zurückgriff.

Inspiriert vom begrenzten Speicherplatz entwickelte er zudem eine Art rekursiver Markov-Kette, d.h. die neu erzeugten Elemente werden ab einer bestimmten Länge der Kette nicht mehr hinten angefügt sondern ersetzen die ersten Elemente. Zudem unterscheidet Finnendahl das sogenannte "Evolutionsmodell" - eine Namensgebung die auf die Tatsache referiert, daß sich mit zunehmender Länge der Kette die auftretenden Elemente reduzieren und am Ende einen einzigen Zustand (theoretisch auch einen periodischen) erreichen: Der Prozeß reduziert sich auf immer weniger Elemente - und "Mutationen", wo beispielsweise nach allen 100 Stellen der Kette ein bisher nicht vorhandenes Element zusätzlich "hineingeworfen" wird, was zur Folge hat, daß die Ausgangs-Information zunehmend "verrauscht" (Fachterminus der Informationstheorie).

Abschließend erläuterte Finnendahl einige konkrete Strukturen seiner Komposotion "Wheel of Fortune", bei dem ein Computer, abhängig vom Input eines MIDI-Flügels, live-elektronische Prozesse steuert. Diese sind in einigen Passagen des Werkes von Markov-Ketten geprägt, die auf relativ komplexe Strukturen, wie von Finnendahl so benannte "Rotations-Akkorde" (die durch Permutation ihrer Intervalle auseinander hervorgehen) zugreifen. Kompositorisch kann die Funktion solcher Passagen weit variieren, beispielsweise den Interpreten in einer Art "Pavlovschem Käfig" immer wieder ähnlicher Muster einfangen.

Die anschließende Diskussion wurde ob der, nach dem kurzweiligen aber sehr umfangreichen Vortrag, fortgeschrittenen Zeit in eine benachbarte kulinarische Stätte verlegt. Die wesentlichen musikästhetischen Fragen werden aber sicherlich im Zusammenhang der folgenden Vorträge noch ausführlich diskutiert werden

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