Hintergrund 1: Der 33. Menri-Trizin Lungtok Tenpa’i Nyima Rinpoche. Scheiden und Nachruf.

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Das Scheiden des 33. Menri-Trizin

Am 14.09.2017 starb gegen 18:25 Uhr Ortszeit der 33. Menri-Trizin, Lungtok Tenpa’i Nyima Rinpoche, das Oberhaupt der Bön-Tradition:

Lungtok Tenpa’i Nyima wurde vor über 50 Jahren in sein Amt berufen, als er 1967 auf Einladung Per Kvaernes als Lehrbeauftragter an der Universität Oslo tätig war.

Zusammenfassungen seiner Biographie finden sich u.a. hier:
http://tibet.net/2017/09/obituary-kyabje-menri-trizin-spiritual-head-of-bon-tradition-passed-away/
http://shenten.org/index.php?option=com_content&view=article&id=117&Itemid=117&lang=en
http://www.olmoling.org/contents/his_holiness_33rd_abbot_of_menri

 

Nachrufe

Der vom Dalai Lama offiziell eingesetze Karmapa Ogyen Trinley Dorje, Oberhaupt einer der vier anderen Traditionen des tibetischen Buddhismus (Karma Kagyu), schickte anlässlich des Todes des Bön Menri-Trizins am Tag nach dessen Verscheiden folgenden Nachruf über die sozialen Medien:

Diese Ehrenbekundung des offiziellen Karmapa bedarf auf der einen Seite keines weiteren Kommentars. Das Ausmaß der Würdigung des Menri-Trizins durch den Karmapa spricht, trotz der für uns ungewöhnlichen und zum Teil sicher auch unverstandenen Bilder, von selbst durch die “Komposition”, wie der Text in tibetischer Manier untertitelt ist.
Auf der anderen Seite kann jedoch nicht einfach übersehen werden, dass hier nicht nur eine spirituelle Autorität über eine andere spirituelle Autorität spricht, sondern dass es sich gleichzeitig um den Nachruf eines Politikers auf einen anderen Politiker handelt. Und das macht die Dinge komplizierter als sie auf den ersten Blick scheinen.

Die stärksten und aussagekräftigsten Zeugnisse über die Persönlichkeit großer Menschen kommen deswegen oft, so scheint es mir, von Menschen aus bedeutend geringeren gesellschaftlichen Positionen. Während meiner Aufenthalte in Dolanji hatte ich das Glück auch mit diesen in Kontakt zu kommen und so bei ihnen authentische und zum Teil tief berührende Eindrücke davon zu bekommen, was für eine Art von Beziehungen der Menri-Trizin mit jeder einzelnen Bewohnerin und jedem einzelnen Bewohner der dem Kloster angeschlossenen exiltibetischen Siedlung aufgebaut zu haben schien.

Insbesondere und am nachdrücklichsten bekomme ich diesen Eindruck bei Didi, der mittdreißigjährigen nepalesisch-hinduistischen Haushälterin und Köchin des klösterlichen Gästehauses. Diese klagt in tiefer Trauer, dass das in Kürze stattfindende Divali, eines der beiden höchsten jährlichen Feste im Hinduismus, fortan nicht mehr das sein wird, was es war. Denn das Schönste an diesem Fest sei stets gewesen, morgens zuallererst zu „Rinpoche“ zu gehen, um ihn anlässlich des Festes zu begrüßen, – ohne dass sie ihm den Grund ihres Kommens je hätte erklären müssen, denn den habe er stets selbst gewusst oder erkannt: „Oh Didi, it is Divali today“ und sie anlässlich dessen gesegnet.
Über all die Jahre, in denen er gesund war, sei der Rinpoche, Menri-Trizin, regelmäßig vom Kloster zu ihr herab ins Gästehaus gekommen, um mit ein paar anderen Mönchen bei ihr zu essen und zu sehen, wie die Dinge stünden und wie es ihr gehe. Sie habe sich immer sehr gefreut und beschützt gefühlt.

Der tiefe Glanz in Didis Augen, der überzogen ist mit Tränen, während so die stärksten mitteilbaren Erinnerungen aus ihr heraussprudeln, lässt keinen Zweifel, dass hier eine Autorität gewirkt hat, die, wenn auch kulturell-machtpolitisch sicherlich ohnehin unanfechtbar, als Grundlage im Umgang mit den ihr anvertrauten Menschen Liebe, Vertrauen und emotionale Wärme eingesetzt haben muss. Ein Ausnutzen der eigenen Machtstellung, das „Treten nach unten“, wie wir geneigt sind, es autokratischen Systemen zu unterstellen, schien mir nach meinen Gesprächen mit „Zöllnern und Armen“ wie Didi in Dolanji nicht zu finden gewesen zu sein. Vielleicht, weil Dolanji Glück hatte, bei der Auswahl des 33. Menri-Trizin durch das Orakel gut beraten worden zu sein?
Vielleicht, weil das Wohl des Einzelnen am Ende doch viel weniger von der Wahl des politischen Systemtyps (demokratisch, autokratisch, oligarisch, anarchisch, etc…) abhängt,  sondern eben doch vom einzelnen Menschen.
Vielleicht aber auch, weil ich dies aus einem völlig unrepräsentativen Moment heraus schreibe, in dem mir ohnehin niemand begegnet wäre, der gegenteilige Darstellungen über das Bön-Oberhaupt geschildert hätte?
Ich weiß, dass es für mich als “aufgeklärte Europäerin” dazugehören müsste, an dieser Stelle gerade auch letztere Möglichkeit in Erwägung zu ziehen. Und doch erscheint mir diese auf der Basis meiner wenn auch wenigen Besuche in Dolanji und meiner eigenen beiden kurzen persönlichen Begegnungen mit dem Bön-Oberhaupt entgegen aller kritischer Vernunft tatsächlich unwahrscheinlich.

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