Feuer 3: Kunst und Ritual

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Der Versuch, ein Verbrennungsritual einer lebenden spirituellen Tradition nachträglich mit Worten zu beschreiben, vielleicht unterstützt von Fotos und Videos, erscheint mir zunehmend als ebenso vergebene Liebesmüh wie der Versuch eine künstlerische Performance oder gar eine ganze Oper durch erklärende Kommentare und Analysen denen näherzubringen, die der Aufführung jedoch niemals beigewohnt haben. Es liegt in der Natur einer Performance, dass verbale Erklärungen und Beschreibungen nicht das Miterleben der Aufführung ersetzen können. Ansonsten wären schließlich alle non-verbalen Elemente der Performance künstlerisch-kompositorisch redundant und ein Buch bzw. eine Lesung hätten es auch getan.

Auch im Bön gibt es so etwas wie Lesungen, z.B. rein verbale Rezitationen aus Büchern, selbst wenn letztere anders aussehen und andere Formate haben als wir es gewohnt sind. Es gibt außerdem etwas wie „religiöse Lieder“, in dem Sinne, dass Stimme und Semantik hier ausreichen, um dem entsprechenden Inhalt in der entsprechenden Situation angemessenen Ausdruck zu verleihen.
Aber es gibt eben auch multidisziplinäre „Performances“, bei denen zu Klang und Semantik andere Ausdruckskategorien hinzukommen. Diese bestehen aus körperlichen Handlungen, dem Auftreten bestimmter Farben und Formen in Kleidung und Requisiten, dem Erzeugen von vorgeschriebenen Gerüchen, außerdem einem bestimmten Aufbau im Raum und sich auf diesen Aufbau beziehenden Bewegungen oder Bewegungsabläufen. Es sind dies tradierte Bewegungsabläufe, die vielleicht vor langer Zeit einmal vollbewusst komponiert worden sind. Und obwohl ich mir des gewaltigen Diskurses bewusst bin, der sich um das Thema “Kunst und Ritual” dreht, scheint es mir, während ich in Dolanji im Kloster bin, kaum einen Zweifel zu geben: Eine solch lang tradierte und alle Sinne mit einbeziehende Performance mit nennt man „Ritual“.

Einen wesentlichen Unterschied zur performativen Tradition der westlichen Kunst gibt es: Im Westen werden die Rituale weggesperrt. Oder, um es nicht ganz so verurteilend auszudrücken: Ihnen wird ein eigener Raum, eine eigene Infrastruktur zugewiesen, die mit dem Alltag des Durchschnittsmenschen eigentlich nichts weiter zu tun hat: Man findet sie im Betrieb der Konzert- und Opernhäuser auf der einen Seite oder in den Diskursen und Veranstaltungen der verschiedenen Underground-Szenen auf der anderen Seite. Doch auch, wenn diese sich durchaus aus dem physischen Rum des Konzertsaales hinausbewegen, ist das Durchbrechen des inneren und kulturell-gesellschaftlichen Sonderraumes, in dem wir unsere Rituale untergebracht haben, damit noch lange nicht vollzogen, – falls dies überhaupt das sein sollte, was wir anstreben.

Mit dem Verbrennungsritual des 33. Menri-Trizin stehe ich nun in gewisser Weise einem performativen “Kunstwerk” gegenüber, dessen natürlich gegebener und allseits anerkannter Raum den Alltagsraum und Tagesablauf all jener organisch zu durchdringen und zu – verändern scheint, die in diesem Moment mit ihm in Verbindung stehen. Nach dem “Kernritual” können die Anwesenden nämlich nicht wirklich zurückkehren in ihren früheren Alltagsraum. Denn dieser wurde durch das Ritual verwandelt, in ihm setzen sich die Konsequenzen der Ritualhandlung fort: Auch nach der ersten großen Hitze, die den Leichnam bereits verbrannt haben muss, brennt das Feuer weiter, bleibt der Chörten (tib.མཆོད་རྟེན་ , Wylie: mchod rten), der Verbrennungsofen, stehen und wird von denselben Mönchen weiter bewacht, die das Feuer innerhalb des Rituals auch entzündet hatten. Und während die anderen Mönche ihre speziellen Kleidungsaccessoires, die sie während des Verbrennungsrituals angelegt hatten, wieder gegen ihre gewöhnlichen Roben eingetauscht haben, so behalten die „Hüter des Feuers“, wie ich die drei Mönche, die das Feuer weiter bewachten, für mich im Stillen taufte, ihre roten Schweißbinden und die ebenso roten dreieckigen Atemschutztücher aus rein pragmatischen Gründen weiterhin an.

Einer der Hüter des Feuers (Geshé Dawa Namgyal)

Für meine westliche Seele war die Begegnung mit diesen “Hütern des Feuers” ein wenig wie ein Film, der einfach um einen herum weiterging, nachdem man das Kino aber bereits verlassen hat. Als würde einem, nachdem man den letzten Teil des “Herrn der Ringe” angesehen hat, auf der Heimfahrt Aragorn in Person begegnen, dem diese Begegnung wiederum so selbstverständlich ist, dass man noch nicht mal die Chance bekommt erstaunt zu reagieren. Stattdessen ist man drin in der Handlung. Sie ist Teil von einem geworden und setzt sich auch nach Ende des Films weiter fort.

Statt mich also im Nachhinein von dem Ritual zu distanzieren, das mit ihm zu tun, was wir nach dem Besuch einer Aufführung „Reflexion“ oder vielleicht „Aufarbeitung“ nennen würden, verlangen die Umstände in Dolanji von mir, mich vollständig wie mit dem Erlebten zu vereinigen. Statt Separierung – Verschmelzung. Ein Beiseitelegen des Erlebten wie nach einem Opernbesuch, oder durchaus auch wie nach einem Kirchgang oder einer westlichen Beerdigung, ist nicht möglich. Und etwas in mir ist zutiefst dankbar dafür, fühlt sich genau dadurch genährt, einbezogen und angenommen und auf eine wunderliche Art „geheilt“ – ohne dass ich vorher je das Gefühl gehabt hätte, dass eine Krankheit vorläge.

Inwiefern grenzen wir Teile von uns selbst aus, wenn wir die Kunst in ihrem eigenen Raum gefangen halten und sie ab und zu besuchen wie die Mannigfaltigkeit der Tier- und Pflanzenwelt in einem Zoo?

Und wenn wir dies verändern wollten – wo müssten wir ansetzen? Außen oder innen?


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