Das indirekte Material

Orgelpfeifen der Bethlehemkirche Kiel

Durch einen Zufall war ich genau zu dem Zeitpunkt in der Bethlehemkirche in Kiel, als dort gerade die alte Orgel ausgebaut und durch eine neue ersetzt worden war.
Die Orgelpfeifen der alten Orgel lagen gegen Spende aus. Die Möglichkeit Klänge eines christlich-kirchlichen Instruments in eine Komposition über ein tibetisch-prä-buddhistisches Thema einzubauen, empfand ich als passend. So wie das Thema der fünf Elemente letztendlich in beiden Kulturen beheimatet ist, so könnte hier durch die Materialwahl eine weitere Brücke gebaut werden.

Labialpfeifen der ehemaligen Orgel der Betlehemkirche in Kiel

Durch die freundliche Bereitschaft des damals anwesenden Pastors, dem ich meine Kompositionsidee vorstellte, und sein Interesse an inter-religionischem Dialog, durfte ich auch einen 8′ der alten Orgel mitnehmen.

Der Auswahl der Labialpfeifen, für die ich mich entschied, lagen keine harmonischen Überlegungen zu Grunde. Das ging auch gar nicht, weil viele Pfeifen längst vergeben wurden und die Auswahl so bereits vor-determiniert war. Es kam durch Zufall zu einer Häufung des Tons Dis.

Zuordnung der Instrumente zu den Elementen

Da der ehemalige Einsatz der Pfeifen als Äquale oder Obertöne keine Rolle spielt, wenn sie von mir nun als Einzelinstrumente verwendet werden, finden sich in der unten stehenden Zuordnung keine genaueren Funktionsbezeichnungen der Pfeifen aus ihrem ehemaligen Kontext der Bethlehemorgel. Stattdessen werden nur die Tonnamen mit annähernder Herzzahl angegeben, um einen generellen Eindruck von den Instrumentenlagen zu geben.

Erde:
tiefste Orgelpfeife:
8′ auf D# (~77 Hz)

Wasser:
Die beiden nächsthöheren Orgelpfeifen:
D#4   (~ 304 Hz)
D#5   (~ 615 Hz)

Luft:
Verwendung der 4 höchsten Orgelpfeifen:
A#6   (~1882 Hz)
C7     (~2108 Hz)
A#7   (~3770 Hz)
D8     (~4580 Hz)

Raum:
Für das Raumelement wurden keine indirekten Klänge hergestellt.


Feuer:

Für das Element Feuer erschienen mir die Orgelpfeifen als nicht geeignet. Nach meiner Auseinadersetzung mit den Möglichkeiten der Klanggestaltung auf den Orgelpfeifen, wurde deutlich, dass ich mit diesen Instrumenten keinen Klang mit steilem Attack würde herstellen können, weil das äußerst weiche und biegsame Metall der Instrumente dadurch sofort kaputt gehen würde.
Ich nahm dewegen statt der Orgelpfeifen zwei handgefertigte Klangschalen. Mit diesen war die Erzeugung zweier grundlegender Klangtypen möglich. Durch Reiben lässt sich beanntermaßen ein fließenden Klang, der in Hüllkurve und Tönigkeit denen der geblasenen Orgelpfeifen ähnlich ist. Durch Anschlagen ist aber auch die Erzeugung von plosiven Klängen möglich, die je nach Stärke des Anschlags zu Beginn der Hüllkurve bis zur Geräuschhaftigkeit gestaltet werden können.

“tibetische” Klangschalen zur Herstellung von Klängen für das Feuerelement

Unbewusst habe ich durch meine Entscheidung Klangschalen zu verwenden außerdem eine Art Pendant zu den christlich konotierten Orgelpfeifen in die Komposition eingebaut: tibetische Meditationsinstrumente.

Diese Interpretation des gewählten Materials ist hübsch und hat dadurch, dass wir im Westen Klangschalen mit eben diesem Kontext verbinden, auch ihre Legitimation. Es sollte an dieser Stelle trotzdem deutlich gesagt werden, dass Klangschalen in tibetischen Klöstern ein völlig unbekanntes Intrument sind. Sie existieren schlicht nicht und haben mit Tibet nicht das Geringste zu tun.
Bei meinem Aufenthalt in Nepal erfuhr ich, dass die Betitelung “tibetische Kangschalen” oder ursprünlich “Tibetan singing bowls” ein Marketing-Gag des Erfinders dieser Instrumente vor einigen Jahrzehnten war, da damals mittlerweile deutlich geworden war, dass sich Tibetisches bei westlichen Touristen gut verkaufen lässt…