Die “Qualitäten” der Elemente als “Spielanweisungen”

Den Elementen Qualitäten zuzuordnen bzw Qualitäten aus ihnen abzuleiten, ist in der Geschichte westlichen Denkens und westlicher Weltauffassung nichts Unbekanntes.

Die Art der Zuordnung im Bön ist jedoch zum Teil anders bzw. es werden Beschreibungskategorien hinzugezogen, die manchmal unerwartet sind und einen neuen Blick auf das jeweilige Element ermöglichen.

Erde z.B. wird mit der Fähigkeit sich “zu verbinden” assoziiert, einer Eigenschaft, die ich persönlich z.B. eher dem Wasser zugeordnet hätte.  Das Feuer wird mit “Unterschiedungsfähigkeit” als höchster Weisheit verbunden, ein Aspekt, auf den vielleicht nicht unbedingt jeder im Westen unmittelbar kommen würde.

 

Ableitung von Klanggestalten

In der Komposition, den Improvisationen zur Materialgewinnung sowie den späteren Improvisationen im Maxpatch geht es nun darum, aus diesen Qualitätsbeschreibungen Klänge abzuleiten.

Und zwar wie?

Zum einen bilden die sprachlichen Beschreibungen der Elementenqualitäten einen improvisatorischen Rahmen:
Erde “ruht in sich”. Daraus folgt, dass ich bei der Improvisation auf der 8′-Labialpfeife keine schnellen und ungeordneten Geräusche erzeuge, sondern einen eher gleichbleibenen Ton, der durch Veränderungen in Atmund und Ansatz hautpsächlich in Spektrum und Länge variiert.
Wasser “fließt”, wird im Bön außerdem mit “Frieden” in Verbindung gebracht und mit “heiterer Gelassenheit” assoziiert. Analog dazu improvisiere ich auf den Labialpfeifen (hier die in mittlerer Lage) keine chaotischen und abrupten Klänge. Die Tonhöhe wird jedoch innerhalb derselben Klanggestalt durch den Atemdruck beständig verändert.
Beim Feuer, das u.a. mit Freude und “Plötzlichkeit” in Verbindung gebracht wir, suche ich (auch) nach plosiven Klängen mit steilem Attack. Da dies auf den Orgelpfeifen nicht möglich ist, ziehe ich schließlich Klangschalen hinzu.

Die Qualitäten der Elemente bilden also den Rahmen für die Improvisation und die Wahl der Klangerzeugungsquelle.

Bis hierhin ist diese Vorgehensweise jedoch noch sehr theoriegeleitet. Ich gehe deswegen einen Schritt weiter:

“Spielanweisungen” oder “Inkorporierung von Elementen-Qualitäten”

Die Klangerzeugung soll nicht nur auf Grund thereoretischer Überlegungen zu Hüllkurven, Frequenzverläufen und Spektrumsbeschaffenheit usw. erfolgen, sondern insbesondere (auch) durch “Inkorporierung” der Elementen-Qualitäten.

Gemeint ist eine innere Aktivität, die üblicherweise Instrumentalisten in sich erzeugen müssen, wenn sie Spielanweisungen wie “dolce” oder “marcato” befolgen oder in die Nuancen der eigenen Interpretation eines Werkes gehen: Sie erzeugen eine innere “Befindlichkeit”, aus der heraus gespielt wird. Worte wie “dolce” deuten dabei zwar auf einen bestimmten Zustand, der Zustand, die “Vefassung” selbst, muss jedoch vom Spieler auf einer inneren, nicht-sprachlichen Ebene erst hergestellt werden.

Dieser Aspekt von Musik, den bei Instrumentalmusik der Interpret übernimmt, soll in “Die Fünf Elemente” von mir selbst übernommen werden.
Die “Spielanweisungen” für den Interpreten “sind” hier die Qualitäten der Elemente. Die Umsetzung der “Spielanweisungen” geschieht nicht erst bei Aufführung des Stücks, sondern bereits bei der Herstellung des Ausgangsmaterials und später auch bei der digitalen Klangsynthese.

Hilfestellungen und Methoden, um die entsprechenden Elementenqualitäten zu “inkorporieren”, sind zum einen die sprachlichen Beschreibungen der Elementenqulitäten, zum anderen meditative Techniken, von denen im Bön angenommen wird, dass man sich durch sie in vertiefter Weise mit dem jeweiligen Element verbinden könne.

Die Frage, die hinter der Anwendung eines solchen Verfahrens steckt, ist die, inwiefern meine innere Haltung, meine mentale Verfassung, die ich im Verlauf des künstlerischen Prozesses einer elektroakustischen Komposition einnehme, auf den Verlauf des Prozesses und sein Ergebnis, der resultierenden Kompositon wirkt.

Die Beantwortung dieser Frage wird subjektiv bleiben müssen. Weder mein innerer Zustand kann im Laufe des künstlerischen Prozesses objektiv gemessen oder dokumentiert werden, noch kann am Ende bewiesen werden, ob dieses oder jenes klangliche Ergebnis nur deswegen zu Stande gekommen ist, weil mein Zustand bei der Herstellung des Ausgangsmaterials so oder so war oder weil durch ihn Handlungen in der Bedienweise des MaxPatches zu Stande gekommen sind, die ich sonst nicht durchgeführt hätte.

Es wird immer möglich sein auf die akustisch-physikalischen Bedingungen als Ursache für das Charakteristikum einer bestimmten Klanggestalt zu verweisen, und natürlich existieren diese Ursachen und Bedingungen auch.

Trotzdem wissen wir alle, dass wir anders Autofahren, wenn wenn wir wütend sind als wenn wir gute Laune haben. Bei Aggressionen steigt das Unfallsrisiko. Dies lässt sich nicht mit dem Argument widerlegen, dass es das Gaspedal war, was die überhöhte Geschwindigkeit erzeugt hat.

Unser innere Verfassung wirkt auf jede unserer Handlungen und deswegen auch auf die Bedienart unserer Instrumente und Geräte.
Bei der Herstellung der Komposition “Die Fünf Elemente”, möchte ich deswegen versuchen diesen Umstand in den Prozess mit einzuplanen.

Inwiefern man den bewussten Umgang mit dem eigenen inneren Zustand als weitere, neben anderen Verfahren gleichberechtigte Methode der Klangerzeugung oder Komposition ansehen kann, wird (auch) das kompositorische Ergebnis dieses Projektes zeigen.