Ricardo Canzio

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Durch die freundliche Vermittlung Geshé Gelek Jinpas kam ich bereits in den ersten Tagen meiner Reisen mit Ricardo Canzio in Kontakt, dem ich im Bön-Kloster Triten Norbutse in Kathmandu, Nepal, kennenlernen durfte.

Ricardo Canzio Kurzbiografie

Ricardo Canzio (* 1940, Buenos Aires) ist einer der wenigen Musikethnologen, die sich in 35jähriger Forschungsarbeit vor Ort in den verschiedenen Klöstern systematisch mit tibetischer Ritualmusik auseinandergesetzt hat.
Um 1958/59 begann er an der Universität Rossario in Argentinien sein Kompositionsstudium, auf Grundlage dessen er sich später auch mit elektronischen Klangerzeugungsverfahren beschäftigte. 
Nach Abschluss des Studiums ging er für fünf Jahre in Indien, lernte Hindi und studierte indische Musik und indische Religion und Philosophie and der Varanaji University.

In Indien befand er sich in unmittelbarer Nähe der ersten exiltibetischen Siedlungen. Bereits während seines Studiums kam Canzio mit tibetischer Ritualmusik in Berührung, wenn auch damals nur über Tonträger.
Auf Einladung einer Bekannten besuchte Canzio im Jahr 1969 den Sitz der tibetischen Exilregierung in Dharamsala. Während dieses Besuchs wurde Canzio auf den einzigen bis heute bekannten musiksystematischen Text eines tibetischen Mönchs aus dem 13. Jahrhundert aufmerksam, den „Treatise on Music“ des Gründers der Sakya-Tradition, Pandita.
Daraufhin reiste Canzio nach Dehradun zu einem der exiltibetischen Klöster der Sakya-Tradition, um mit Hilfe der dort lebenden Menschen mit einer Übersetzung ins Englische zu beginnen.

Die Übersetzung und die darauf aufbauenden Studien der Ritualmusik der Sakya-Tradition wurden schließlich Thema seiner Dissertation bei Prof. Dr. David Snellgrove an der London School of Oriental and African Studies in England.
Obwohl Canzio durch die Doktorwürde offiziell zum Tibetologen ernannte wurde, war das Thema seiner Dissertation eigentlich ein interdisziplinäres, in welchem sich Tibetologie, Musikethnologie und das musikalische Wissen eines Komponisten miteinander verbanden. Zusammen mit den Erkenntnissen und Fragen, die sich aus aus seiner Beschäftigung mit Sakya Panditas „Treatise on Music“ ergaben, bildete die Verbindung dieser drei Disziplinen fortan den Grundstein für Canzios weitere Auseinandersetzung mit tibetischer Ritualmusik, die bis heute anhält.

Im Laufe der Zeit konzentrierte sich seine Forschung immer stärker auf die Musik der Bön-Tradition. Der Grund darin bestand zum einen in der besonderen Form der Musiknotation des Gyer-Stils (Yang-Stil), wie man sie innerhalb der tibetischen Klosterlandschaft nur in der Bön-Tradition findet. Die Notationsweise der Bönpos vereinfacht aus Gründen, die an anderer Stelle zu klären sind, westlichem, musikwissenschaftlich-kompositorischen Denken den Zugang zu den musiksystematischen Strukturen, die der Ritualmusik zu Grunde liegen. 
Zum anderen verfestigten sich über die Jahre natürlich auch die Beziehungen zu den Bönpos. Seit 1979 bereiste Canzio unzählige Male das Menri-Kloster in Dolanji, Indien, und kam so in einen lang anhaltenden wissenschaftlichen und persönlichen Austausch mit den beiden Ältesten der Bön-Tradition im Exil: Dem (im September 2017 verstorbenen) 33. Menri-Trizin Lungtok Tenpa’i Nyima (damals Sangye Tenzin), und dem höchsten Lehrer (Lopön = „Hauptlehrer“) Yongdzin Tenzin Namdak. 

Yongdzin Tenzin Namdak gründete in den 1990er Jahren in Nepal das zweite Bön-Kloster im Exil: Triten Norbutse in Kathmandu. Von da an arbeitete Canzio auch dort.

1992 zog Canzio nach Taiwan und arbeitete dort als Professor für Musikwissenschaft an der National Taiwan University.