Verbrennungsritual 1: Mandalas und letzte Verabschiedung

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Sandmandalas

Noch vor der Verbrennung selbst, als es noch stockfinstere Nacht war, meiner Erinnerung nach zwischen der gemeinschaftliche Tempelumkreisung und der letzten Verabschiedung jedes Einzelnen, wurden in einem eigenen Zeremoniell extra für die Verbrennung hergestellte Sandmandalas aus dem Haupttempel zum Verbrennungsofen getragen und dort direkt über der Feuerstelle eingesetzt. Über den Sandmandalas würde später der Schrein mit dem Leichnam eingesetzt werden, so dass die ersten Flammen zunächst die Mandalas durchdringen würden, bevor sie den Leichenschrein erreichten.

Die Mandalas wurden mit solchem Ernst und in so erhabener Stimmung zum Ofen bewegt, dass ich zunächst dachte, dies sei schon das Bewegen des Leichnams selbst und mich wunderte, warum dies von nur so Wenigen mitverfolgt wurde. Viele der Anwesenden standen zu diesem Zeitpunkt noch im Tempelvorhof, konnten dadurch zwar das Verlassen der Mandalas aus dem Tempel begleiten, hatten aber keine Sicht auf den Ofen.

Nach dem Einsetzen der Mandalas wurde der Ofen „verpackt“. Er wurde zum größten Teil mit rotem Stoff, der Farbe des Feuers, weiter oben mit gelbem und blauem umwickelt, so dass alle Öffnungen nun geschlossen waren. Ich vermute, damit die Mandalas nicht durch Zugluft verweht werden. Der kindliche Teil meiner Phantasie ist aber mit dieser Erklärung nicht zufrieden und kann nicht anders als sich einfach kurzerhand durch den roten Stoff hindurchzudenken, um so heimlich und unbemerkt ins Innere des geschlossenen Ofens zu gelangen. Dort, vielleicht zwei Zentimeter über den Sandmanadals schwebend, beobachtet er, wie die Linien der Mandalas zu durchsichtigen Ebenen aus Licht werden, wie durch Laserstrahlern erzeugt, pastellen eingefärbt im Farbton ihrer Ursprungslinie, und wie sich diese Ebenen im Inneren des Ofens durchdringen und überlagern und Formen und Farben nun den ganzen Innenraum ausfüllen und ihn so zu einem eigenen Tempel machen. Ein Tempel aus Farben und Formen aus Licht, dem menschlichen Auge zwar verborgen, aber dennoch den Ort mit kunstvoller Schönheit ausstattend, an dem in Kürze der Leichnam eines hohen Lamas den Flammen übergeben werden soll.

Mein kindlicher Anteil ist mit dieser Vorstellung zufrieden und verlässt den Ofen wieder. Ob das heimlich Erlebte etwas mit den Sichtweisen des Bön zu tun hat, weiß ich nicht.

 

Letzte Verabschiedung

Nach dem Einsetzen der Mandalas hat jeder Einzelne die Möglichkeit, ein letztes Mal den Schrein des Verstorbenen in dessen ehemaliger Wohnung aufzusuchen und sich durch Niederlegung einer Khatag, eines weißen Schals, von ihm zu verabschieden. Wir waren in den Tagen zuvor mehrere Male zum Schrein gegangen und hatten dort jedes Mal in traditioneller Weise eine Khatag niedergelegt. Bei diesem letzten Mal ging ich jedoch nicht mit, und einige andere meiner westlichen Bekannten auch nicht. Ich kann nicht genau sagen, warum wir nicht hingingen. Was mich betrifft vermute ich aber, dass wieder einmal die Protestantin in mir nicht mitspielte, die gelernt hatte, eine solche wirklich allerletzte Verabschiedung lieber still im eigenen Herzen zu vollziehen, ohne bekräftigende äußere Handlung. Und so begleiteten wir die lange Reihe der Abschiednehmenden vom Dach der Mönchswohnungen aus, von wo aus man einen freien Blick über den Tempelhof auf die Wohnung Lungtok Tenpa’i Nyimas hatte, und verabschiedeten uns innerlich unzählige Male mit ihnen mit. Dies taten wir, bis unser Inneres uns meldete, dass es nun „vollbracht“ sei und wir uns um 90 Grad nach links wenden konnten, in die Richtung, in der der Ofen stand und bereit war, den Leichnam zu empfangen.


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