Klangwissen

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Wie man bereits in den Reisetagebüchern lesen kann (-> Feuer 4: Heiliges Feuer), fiel während der Zeremonien eine grundsätzliche kompositorisch-ethische Entscheidung. Das war die, das Feuerprasseln des Verbrennungsfeuers mit in die Komposition einzubauen, – zu samplen also. Damit wurde ich meinem eigenen kompositorischen Verbot Nr. 2 untreu. Und das war richtig so.

Ich wurde aber nicht nur an dieser Stelle meinen eigenen Prinzipien untreu, sondern diese brachen während meines Aufenthaltes dort nur so in sich zusammen. – Sie taten dies begleitet von einem tiefen und klaren Gefühl ethischer und künstlerischer Folgerichtigkeit. Eine Gefühlswahrnehmung, die sich freilich jeder logischen Herleitung entzieht.

Aufgrund dieser Wahrnehmung begann ich, auch Verbot 1 zu übertreten machte mich daran, die tiefen Ritualtrommeln zu samplen, die aus dem Tempel drangen. Später verwendete ich diese Samples in der Komposition reichlich. Mit den Aufnahmen der Ritualtrommel hatte ich unwillkürlich auch die die Trommeln stets begleitenden Rolmos (große Ritualzymbeln bzw. -becken) aufgenommen. Aus beiden Instrumenten abgeleitete Klänge sollten am Ende einen wesentlichen Teil des Feuer-Satzes des Komposition bilden.

Auch das war genau richtig so.

Aber warum? Wie konnte das, was ich vorher selbst strikt als Exotismus ablehnte, plötzlich so eindeutig richtig erscheinen?

Erneut kann ich nur eine Erklärung bieten, die sich nicht rationalisieren lässt, weil sie sich nicht auf rationaler Ebene abspielte:
All dies war OK, weil ich die Ritualtrommel plötzlich “verstanden” hatte. Nicht theoretisch, nicht intellektuell, sicher auch nicht Bön-philosophisch, und auch nicht – das möchte ich betonen – in ihrer etwaigen spirituellen Dimension.

Was sich stattdessen einstellte, war eine Art “Klangwissen”. Durch dieses wurden die Funktion und der Einsatz der Trommel im Gesamtklang des Klostergeschehens “klar”.

Es war plötzlich “Klangwissen” über Rolmo und Ritualtrommel vorhanden, das sich vermutlich nur dadurch zum Ausdruck bringen lässt, dass ich selber einen eigenen klanglichen Kontext für die entsprechenden Samples erschaffe, anhand dessen sich dann zeigen würde, ob ich die Verwendung der Trommel beherrsche oder nicht. – Überprüfbar natürlich nur durch jemanden, der die Bedeutung der Trommel in ihrem ursprünglichen Kontext auch versteht.

Die Klänge der Ritualinstrumente, von denen die Verbrennungszeremonien begleitet waren, erschienen wie eine eigene Sprache. Ein Sprache, deren morphologischen Elemente nicht ohne entsprechendes und internalisiertes Kontextwissen in ihrere Bedeutung zu erklären, geschweige denn zu übersetzen sind. Und doch ist eine solche “Klang-Bedeutung” unzweifelhaft vorhanden.
Diese Bedeutung begann sich mir während der Verbrennungszeremonien zu eröffnen. Und in dem Maße, in dem sie dies tat, konnte ich meine zuvor gesetzen Prinzipen fallen lassen.