Das Eigene und das Fremde: Eine der “Grundspielarten” des Komponierens

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Das Projekt “The Five Elements – Electroacoustics meets Bön” steht prototypisch für eine gängige und in Europa bereits seit langer Zeit weit verbreitete Art des Komponierens.

In seiner individuellen Ausprägung – der Arbeit an Fusionierungsmöglichkeiten von Bön und elektroakustischen Kompositionsmethoden – trägt es seine eigenen, speziellen Züge.
Aber das “Framework”, in das es eingebettet ist, ist für einen großen Teil der Komponistinnen und Komponisten eine der bekanntesten prozeduralen Formen bei der Herstellung einer Komposition: Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen kompositorischen Systemen, musikalischen Sprachen und ihren kulturellen Kontexten.

Dies ist nichts Neues und lässt sich über die Jahrhunderte überall in der europäischen Musikgeschichte finden. Bereits Bach setzte sich mit der Musik Italiens, Dvořák mit Elementen der afroamerikanischen Musikszene Amerikas und Debussy mit indonesischer Gamelanmusik auseinander – um in aller Kürze nur einige der gängigsten Beispiele zu nennen.

Dass diese Art des Komponierens, trotzdem sie allgemein bekannt und lang tradiert ist, eine durchaus komplexe Angelegenheit darstellt, die in differenzierter Weise betrachtet werden kann und sollte, kann man schlussfolgernd u.a. aus Martin Jägers Beitrag “Transkulturalität als musikgeschichtliches Problem” entnehmen.[1]
In Vorbereitung auf Überlegungen zur “Rezeption türkischer Janitscharenmusik (mehterhâne) in Europa” weist Jäger insbesondere auf den Vorgang des “Übersetzens” der Musik von dem hin, was als unbekannte musikalische “parole” gehört wird zu dem, was das System der eigenen musikalischen “langue” ist:

“Der Versuch einer translatio der fremden parole in die eigene musikalische langue erfolgt unmittelbar bei der Rezeption; zugleich werden kontextuelle Wahrnehmungen, nach einer Zeit der Reflexion auch soziokulturelle Parameter – ebenfalls in kultureller Übersetzung – beigeordnet. Sofern dieser Prozess zu einer Aneignung führt, setzt eine Synthese ein, die durch stetige translatio und re-translatio etwas musikalisch Neuartiges zu entwickeln vermag. Transkulturalität (vielleicht auch kulturelle Identität) in der musikhistorischen Dimension erweist sich somit auch als Produkt komplexer kultureller Übersetzungen.”[2]

Neben den zum Teil geschichtlichen Beispielen der Übersetzung und/oder Integration unbekannter musikalischer Sprachen in die eigene kompositorische Systematik gab und gibt es außerdem (wohl auch schon immer) die Gruppe der Komponistinnen und Komponisten, die von klein auf in zwei oder mehreren Kulturen und musikalischen Sprachen gleichzeitig sozialisiert wurden. Beispiele hierfür finden sich u.a. bei Robert von Zahns Beschreibung des Ensembles “Kapversaz”.[3]

Zudem gibt es jene, die auf Grund von Emigration oder bewusster Entscheidung eine zweite musikalische Sprache erworben haben und diese versuchen, mit der musikalischen Sprache zu verbinden, in der sie sozialisiert wurden.
Genannt seien hier z.B. Franghiz Ali-Zadeh [4], die ihr in Studienzeiten u.a. stark von der zweiten Wiener Schule gesprägtes pianistisches und kompositorisches Können mit den Prinzipien der azerbaidschanischen Muğam-Komposition verbindet. Ihr für das Kronos Quartet komponierte Werk “Muğam Sayagi” demonstriert dies in eindrucksvoller Weise [8]. Auch Zad Moultaka [5], der als Komponist und bildender Künstler nicht nur musikalische Sprachen sondern auch künstlerische Genres zusammenführt, oder Samir Odeh-Tamimi [6] gehen ähnliche Wege in Bezug auf die Fusion von westlicher Avantgarde und den musikalischen Systemen und Ausdrucksmöglichkeiten arabischer Musik.

Einer derer, die den geographisch umgekehrten Weg gehen, ist zudem Klaus Huber, der sich, wie Bijan Tavili es zur Zeit untersucht, intensiv mit Kompositionstechniken aus dem Gebiet der Levante auseinandersetzt.[7]

Man muss sich aber eigentlich weder räumlich noch zeitlich besonders weit weg bewegen, um Beispiele für dieselbe Zielsetzung und Herausforderung zu finden, die auch dem kompositorischen Projekt “Die Fünf Elemente” zu Grunde liegen. Ein Großteil der westlichen Gesellschaft ist durch die Partizipation an verschiedenen Subkulturen in unterschiedlichen musikalischen und kulturellen Systemen gleichzeitig beheimatet, ohne dass dies auf bikulturelle Eltern oder einen persönlichen Migrationshintergrund zurückzuführen wäre.

Genre- und spartenübergreifendes Denken wie die Fusion von verschiedenen künstlerischen Disziplinen (Tanz, bildende Kunst, Musik, Literatur, etc.) ist letztendlich eine weitere Ausprägung desselben kompositorischen Denkens, das auch allen anderen bis hierhin aufgezählten Beispielen zu Grunde liegt: Das Interesse an Fusion von Verschiedenem. Dabei spielt es keine Rolle, ob dieses Verschiedene vollständig im Inneren des Komponierenden liegt oder er ihm als etwas außerhalb von ihm Liegendem begegnet, zu dem er sich durch den künstlerischen Prozess in ein Verhältnis setzt.

Die Auseinandersetzung mit dem, was “anders” ist, und die Suche nach Verbindungsmöglichkeiten verschiedener künstlerischer Sprachen und Systeme kann man also, so meine ich, als eine der “Grundspielarten” (auch) des Komponistenberufes bezeichnen.

Dieses Projekt möchte, soweit dies möglich ist, anhand der Beschäftigung mit und der Einarbeitung in die Denkweisen des tibetischen Yungdrung Bön und dessen Sichtweise auf und Umgang mit Musik und Klang nicht zuletzt einen weiteren Beitrag dazu leisten, Einblicke in Überlegungen und Vorgehensweisen dieser kompositorisch-künstlerischen Grundspielart zu ermöglichen.

[1] Jäger, Martin: “Transkulturalität als musikgeschichtliches Problem.” In: Jacob, Andreas; Kampe, Gordon (Hrsg.) (2014): “Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum. Symposiumsbericht Kulturhauptstadt RUHR 2010.” Olms. Hildesheim, 2014.

[2] ebd. S. 178

[3] von Zahn, Robert: “Heimat und ihre Weltmusik-Imagination in NRW.” In: Jacob, Andreas; Kampe, Gordon (Hrsg.) (2014): “Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum. Symposiumsbericht Kulturhauptstadt RUHR 2010.” Olms. Hildesheim, 2014. S. 151 ff.

[4] Homepage von Franghiz Ali-Zadeh: http://ali-sade.narod.ru/

[5] Homepage Zad Moultaka: http://zadmoultaka.com/musique/

[6] vgl. https://de.karstenwitt.com/samir-odeh-tamimi

[7] vgl. Keller, Kjell (2004): “Klaus Huber und die arabische Musik. Begegnungen, Entgrenzungen, Berührungen.” In: Dissonanz. #88. Dezember 04. sowie Kunkel, Michael (2004): “Figuren des Widerspruchs. Klaus Hubers “Zwei Sätze für sieben Blechbläser” (1957/58). In: Dissonanz. #88. Dezember 04.

Musikbeispiele

[8] Franghiz Ali-Zadeh (1994): “”Muğam Sayagi”