Von der Ummöglichkeit einer live-Dokumentation

Im Rahmen dieses Projektes gab es den Plan fortlaufend den Stand der Dinge zu dokumentieren.
Relativ schnell stellte sich für mich heraus, dass das so nicht zu machen ist.

Kulturelle Filter

Von Anfang an waren die Begegnungen und Gespräche mit den Mönchen und Nonnen des Bön Teil dieses Prozesses. Die Kultur und Sprache der Mönche waren mir zu Beginn des Projekts dabei vollständig unbekannt.

Wenn man Menschen begegnet und mit ihnen in Kontakt tritt, von denen man weder Kultur noch Sprache kennt, bleibt einem zu Anfang gar nichts anderes übrig, als diese Menschen und ihre Andersartigkeit durch die eigene kulturelle Brille wahrzunehmen. D.h. man interpretiert viele Situationen, Verhaltensweisen und Beobachtungen so, wie man es auf Grund seiner eigenen im Laufe des Lebens gesammelten kulturellen Erfahrungen und Konzepte tun würde. Die Interpretationen, die sich meist in Bruchteilen von Sekunden und überwiegend unbewusst vollziehen, können positiv, negativ oder neutral ausfallen, haben aber in allen drei Fällen unter Umständen nicht viel damit zu tun, wie die Verhaltensweisen, Worte und Situationen aus der Perspektive der Mitglieder jener Kultur tatsächlich gemeint sind. „Etische Perspektive“ nennt man diese Interpretation von Kultur. „Emische Perspektive“ nennt man die Interpretation der Vorgänge und Verhaltensweisen aus der Perspektive der Mitglieder einer Kultur selbst.

Wie in allen Projekten, in denen Begegnungen mit anderen Kulturen eine Rolle spielen, geht es auch in diesem Projekt darum, sich einen Weg von etischer zur emischer Perspektive zu bahnen. Das ist ein langsamer Prozess und er vollzieht sich allmählich. So allmählich, dass nicht zu erwarten ist, dass er zum Ende des Projektes abgeschlossen wäre.

Während dieses Prozesses finden voraussichtlich die verschiedensten Arten von Missverständnissen statt. Viele davon erscheinen „uns“ vielleicht gar nicht schlimm sondern wir finde sie eher lustig. – Aber auch was schlimm und was lustig ist, ist eine Frage der Perspektive. Missverständnisse gerade in diesem Bereich können zutiefst kränkend sein.

Der Weg der langsamen “Einstellung” des richtigen „Filters“ ist ein interessanter und spannender Prozess, und ich finde, es lohnt sich ihn zu gehen. Es lohnt sich sicher auch, ihn kontinuierlich zu dokumentieren, aber es erscheint mir ziemlich ausgeschlossen diese Dokumentation „live“, wie etwa in einem Blog, zu veröffentlichen. Denn um dies zu tun, müsste ich fortlaufend über andere Menschen berichten. Dies jedoch nicht in der Weise, wie diese sich selbst sehen, sondern durch meinen eigenen, nicht richtig eingestellten Filter.

Nun betrachtet man letztendlich jeden Menschen durch den eigenen Filter, ob dieser nun tibetischer Mönch oder der eigene Ehepartner ist.
Deswegen fragt man üblicherweise bei dem anderen nach, ob es OK ist, über ihn zu schreiben und holt sich die entsprechende Autorisierung zur Veröffentlichung. Oft korrigiert man dann zuvor Stellen im Text gemeinsam, damit beide mit dem Ergebnis glücklich sind. – Es besteht kein Zweifel, dass es richtig ist, in dieser Weise zu verfahren. Aber die live-Dokumentation des sich langsam vollziehenden Prozesses von etischer zu emischer Perspektive ist damit nicht merh existent. Erstens, weil die Texte dann eben bereits korrigiert sind, zweitens, weil durch die dauernden Gespräche über die Texte der Prozess selbst beeinflusst werden würde. – Sicher nicht zum Schlechten. Man könnte ein eigenes, neues Projekt daraus machen: Übereinander schreiben und darüber sprechen”. Darum geht es hier aber nicht.

Während meiner Aufenthalte in den Klöstern wurde von mir deswegen zwar ein Feldtagebuch geführt, aber dies diente, wie bei dieser Methode üblich, aus beschriebenen Gründen nicht der Veröffentlichung, sondern lieferte mir eine Art Grundlage für eine spätere Interpretation und gegebenenfalls Darstellung des Erlebten in entsprechend aufgearbeiteten Weise.

Für den ethnographischen Teil ist dies sicher verständlich.

In diesem Projekt zieht das aber auch Konsequenzen für den künstlerischen Teil nach sich.

Synästhesien und Abstraktionen

Die anfänglichen Versuche einer dichten Beschreibung meines eigenen künstlerischen Prozesses förderte relativ schnell eine Erkenntnis über einen Aspekt meines eigenen Komponierens zu Tage, der sowohl spannend wie für eine live-Dokumentation ungünstig ist:

Mein kompositorisches Denken wird offenbar stark durch die Begegnungen mit Menschen und die Wahrnehmung sozialer Vorgänge mitbestimmt. Ich abstrahiere bestimmte Aspekte von Begegnungen oder Vorgängen in meiner Umgebung zu Formen bzw. formellen Abläufen.

Ein Mensch könnte z.B. in einer bestimmten Art sprechen, – vielleicht so, dass er immer an der aus meiner Perspektive interessantesten Stelle das Gespräch beendet. Wenn ich beobachte, dass dies wiederholt passiert, kann es geschehen, dass ich beginne dieses Gesprächsverhalten unwillkürlich als plastische und musikalische Form vor mir zu sehen. Ich sehe vielleicht ein Feld von lauter kleineren Einheiten vor mir, die alle in sich selbst crescendieren und dann abbrechen. Das „Feld“, in dem ich sie sehe, besteht aus Stille, die plastisch sichtbar wird als „Raum“, in dem sich einzelne verschiedenfarbige Gebilde befinden.
Es ist eine Form von Synästhesie, und diese darzustellen, ist kompliziert genug. Für eine fortlaufende Dokumentation viel problematischer ist jedoch der Umstand, dass diese Synästhesie und Formbildung von anderen Menschen und ihrem Verhalten ausgelöst werden kann. Nicht nur von einzelnen, sondern auch von Gruppen.

Doch damit bin ich wieder in derselben Lage wie bei meinem ethnographischen Tagebuch. Natürlich kann ich diese Vorgänge für mich selbst notieren. Aber ich werde nicht dazu übergehen können, die konkreten „Trigger“ für die oben beschriebene Art der synästhetischen Abstraktion zu veröffentlichen. Denn damit müsste ich zum Teil Details über konkrete Menschen erwähnen, die ich aus Respekt vor diesen und ohne deren Einwilligung nicht erwähnen möchte.

Ich könnte die Menschen anonymisieren. – Aber auch das geht nur bedingt, weil man in vielen Fällen, gerade bei tibetischen Mönchen, an bestimmten Dingen oder Umständen eben doch ablesen kann, um wen es sich in etwa handeln muss. Wenn ich deswegen aber nun alles verändere, den Namen und den Ort und den Vorgang, wird der Sinn einer live-Dokumentation schlicht ad absurdum geführt.

Lösungsversuch

Um dennoch einen Einblick in das zu geben, was an Prozessen im Rahmen dieses Projektes stattgefunden hat, habe ich mich entschlossen, trotzdem ausgewählte Auszüge aus meinem Reisetagebuch zu veröffentlichen. Es sind dies  Ausschnitte, deren Inhalte so allgemeiner Natur sind, dass, so hoffe ich, keine Persönlichkeitsrechte verletzt wurden. Ziel der Auszüge ist es, durch Stil und Auswahl des beschriebenen auch “zwischen den Zeilen” einen Eindruck davon entstehen zu lassen, wie sich persönliches, synästhtisches und “tatsächliches” im Sinne des obene Beschriebenen so ineinander schiebt, dass ein hoch subjektive Bilder entstehen. Ein Bilder, die keiner anthropologischen oder ethnologischen Prüfung standhalten. Bilder, die nicht dem Eigenverständnis der Mönche und Nonne des Bön entsprechen. Aber trotzdm Bilder, die wesentliche Durchgangsstadien dokumentieren, die ich, die künstlerische Forschende und Komponierende, durchlaufen habe.

Ich habe mich im Versuch der Darstellung dieser Bilder an die Schwelle zur Literaturproduktion gebracht. Da ich keine Schriftstellerin bin, ist das Ergebnis in seiner Qualität naturgegeben nur mäßig. Ich entschuldige mich dafür und hoffe, dass dies durch die Intention der Texte aufgewogen wird.