… Ist vermutlich eine der häufigsten Fragen am ICEM (neben “Warten wir die akademische Viertelstunde noch ab?” beim Jour Fixe) und glücklicherweise weiß Herr Neuhaus eigentlich immer. Wie das mit den Credits geregelt wird, ob StudentIn XY diesen Kurs noch belegen muss und wofür man Klangsynthese braucht. Und was wissen wir über Herrn Prof. Neuhaus?
Biografie
Thomas Neuhaus (*1961), studierte an der Folkwang-Hochschule (heute Folkwang Universität der Künste) in Essen Komposition bei Wolfgang Hufschmidt und elektronische Komposition bei Dirk Reith. In den 80er und 90er Jahren arbeitete er als Softwareentwickler bei der Essener Firma micro-control im Rahmen des BMFT-geförderten Forschungsprojektes am AUDIAC System zur computergestützten Komposition und Klangsynthese. Seit 1988 arbeitet er als Komponist mit dem Theater der Klänge, Düsseldorf, seit 1994 unterrichtet er Fächer der Musikinformatik sowie elektronische Komposition am Institut für Computermusik und elektronische Medien (ICEM) der Folkwang-Universität der Künste. Von 2000 bis 2004 unterrichtete er auch an der Hochschule für Künste Bremen. Seit Oktober 2004 ist er Professor für Musikinformatik am ICEM. Er ist Gründungs- und Vorstandsmitglied der Gesellschaft für Neue Musik Ruhr und Gründungsmitglied der DeGeM (Deutsche Gesellschaft für elektroakustische Musik). Seit Oktober 2011 ist er Leiter des ICEM. Er arbeitet seit 2010 im Programmteam des NOW! Festivals und entwickelte zusammen mit Dirk Reith und Günter Steinke die jährlichen ParkSounds für die Philharmonie Essen.
Über seine Arbeit
Neuhaus’ Oeuvre lässt sich grob in vier (bis fünf) Hauptsträngen darstellen:
Beim Theater der Klänge arbeitete er (neben gelegentlicher „traditioneller“ Theatermusik) hauptsächlich an interaktiven Konzepten mit direkter Rückwirkung des Bühnengeschehens auf die (live-elektronische) Musik.
Neben dem frühen „Figur und Klang im Raum“ sind hier vor allem die Produktionen „Modulator“, „Hoereographien“ und „Suite Intermediale“, sowie im Nachgang dazu noch „Vanitas“ und „Coda“ zu nennen.
Daneben entstanden immer wieder klassische „Tape“-Stücke wie das frühe „The Bad Boys were Prodding the Bear through the Bars of the Cage“, die „5 kleine Stücke über die kleinen laute eines kleinen Menschen“ oder „Revelations and a Terrace Talk“.
Neuhaus erstellte auch eine Reihe von Klanginstallationen, teilweise zu Video- und Fotoarbeiten von Dietrich Hahne oder Elke Seeger, wie z.B. die Arbeiten „Carbonized“, “Trans|Gen” oder „Roommates“, aber auch autonome Arbeiten wie das interaktive Robcross4All (anlässlich des 25-Jährigen Geburtstags des Theater der Klänge)
Gelegentlich arbeitet er noch als Softwareentwickler, dies in der Regel in künstlerischen Zusammenhängen. So entwickelte er die Realtime-Steuersysteme für das „Mechanische Schaufenster“, eine Umsetzung einer Idee des Bauhaus Studenten Franz Ehrlich von 1920, rekonstruiert von Jürgen Steger, oder für die „Bigger Clock“ von Darren Almond. (Hudson Valley Center of Contemporary Art, Marc Straus, New York, Bau: Ebenfalls Jürgen Steger)
In letzter Zeit widmet er sich vermehrt wieder instrumentalen Projekten (mit und ohne Elektronik), wie z.B. sein Beitrag zur „Essener Trilogie“, „Manic He Chain Me“ für Ensemble und Musikmaschinen von Martin Riches, dem Streichquartett „Prinzessin/Erinnerung“ (für ein filmisches Remake einer Theaterszene aus Vanitas vom Theater der Klänge) oder der Komposition „Tubes“ für Bläser, Schlagzeug und Elektronik, das für den Gasometer Oberhausen konzipiert wurde.
Aktuell arbeitet er zusammen mit Henrietta Horn an einem interaktiven, interdisziplinären Bühnenstück (Arbeitstitel „Untier“), das Ideen aus den interaktiven Arbeiten mit dem Theater der Klänge aufnimmt und versucht, weiterzuentwickeln. Die Uraufführung ist beim diesjährigen NOW! Festival am 26.10.2018 geplant.
Drei Fragen an Thomas Neuhaus
Angenommen, zeitliche Faktoren und dergleichen spielten keine Rolle: Gäbe es einen Musik-fremden Studiengang oder eine Ausbildung, der oder die Sie heute reizen würde?
Na ja, Informatik würde wohl naheliegen. 😉 Andererseits beschäftigt mich im Moment, aus gegebenen Anlässen, viel mehr, was eine Gesellschaft so alles zusammenhält, oder eben auch nicht. Ganz spannend finde ich in diesem Zusammenhang die Arbeit des interdisziplinären Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld. Da würde ich vielleicht ganz gerne nochmal studieren. Auch rechtsphilosophische Fragen, die damit zusammenhängen, interessieren mich im Moment sehr. Das viele Auswendiglernen bei einem „echten“ Jura-Studium wäre aber eher abschreckend…
Stellen wir das Studieren, wie Sie es erlebt haben, dem Kompositionsstudium heute gegenüber. In wie fern hat es sich verändert?
Die größte Veränderung im Hinblick auf die elektronische Komposition ist sicher die wesentlich einfachere Verfügbarkeit der Produktionsmittel. Früher _musste_ man in ein Studio gehen, und tat gut daran, dort sehr gut vorbereitet aufzuschlagen, denn die Zeit, die einem das Studio zur Verfügung stand, war begrenzt. Als Nebeneffekt war das Studio immer auch ein Treffpunkt und diente dem Austausch und der Kommunikation. Man half sich gegenseitig bei komplexeren Realisationsprozessen und sprach über das, was einen so umtrieb. Auch und gerade kompositorisch.
Heute kommt man mit einem Laptop und ein paar guten Lautsprechern zu Hause auch ganz schön weit, bleibt aber dabei mit sich alleine. Austausch und Bildung einer Community findet so nicht mehr statt, und die sozialen Medien können dies, glaube ich, auch nicht ersetzen (wobei sie sicher andere Qualitäten haben) Das betrifft allerdings das elektronische Komponieren insgesamt, und nicht nur während des Studiums.
Im Studium selbst ist vielleicht der große Unterschied, dass wir nicht so sehr auf Credits schielen und Module erfüllen mussten. D.h. neben den auch damals vorhandenen Pflichtfächern haben wir uns Dinge nach Interesse aussuchen können. Da saß der eine dann auch schonmal in der Tanzabteilung und hat sich dort den Choreographieunterricht von Jean Cebron angesehen, während andere ein Seminar über den Antisemitismus bei Wagner besuchten. Oder man machte auch mal beides.
Positiv am heutigen Studium an Folkwang positiv ist sicher die mittlerweile sehr gut funktionierende Zusammenarbeit mit den Instrumentalklassen. Zu meiner Zeit konnte es schonmal vorkommen, dass Studierenden aus den Instrumentalklassen die Mitwirkung an Neue Musik Konzerten untersagt wurde, weil dies ja z.B. für den „Ansatz“ schädlich sei usw. Diese Zeiten sind glücklicherweise vorbei, und Neue Musik ist selbstverständlicher Teil der Instrumentalausbildung.
Auch zu meiner Studienzeit wurde immer wieder der „Folkwang-Gedanke“ in schönen Sonntagsreden bemüht. Interdisziplinäre Projekte entstanden aber, wenn überhaupt, höchstens dadurch, dass sich Studierende unterschiedlicher Disziplinen in der Mensa (im Kellergewölbe unter dem heutigen Pina Bausch Theater) trafen und Dinge ausheckten. Diese wurden von den Lehrenden (ausser bei den Komponisten) oft bestenfalls als Freizeitvergnügen der Studierenden geduldet.
Die Unterstützung für solche Projekte, ideell wie materiell, etwa durch die LABs ist heute wesentlich ausgeprägter. Dafür ist es heute wahrscheinlich schwerer, Projekte zu realisieren, die nicht in irgendeiner Art kreditiert werden.
Haben Sie sich als Komponist durch das Unterrichten verändert?
Ich glaube, dass ich (auch) durch das Unterrichten mehr (sicher längst nicht alles) von dem mitbekomme, was (meist kompositionsstudierende) Menschen bewegt, die im Schnitt mittlerweile mehr als 30 Jahre Jünger sind als ich selbst. Sich damit auseinanderzusetzen stellt notwendigerweise auch die eigenen Ansichten und Haltungen ständig in Frage. Das hält zunächst mal den Kopf einigermaßen frisch. Hoffe ich.
Neben den Auseinandersetzungen mit den (bei mir vergleichsweise wenigen) Hauptfachstudierenden über konkrete kompositorische Fragestellungen habe ich vor allem die projektorientierten Seminare mit Gestaltern oder Sounddesignern als Bereicherung empfunden. Hier spielen ganz andere Betrachtungs- und Herangehensweisen an die Organisation von Klang eine Rolle. Diese kennen zu lernen ist spannend. Umgekehrt bringt mich die Vermittlung kompositorischen Basishandwerks, auch an nicht-Komponisten, dazu, über Komposition als solche immer wieder neu und elementar nachzudenken, Vermeintliche Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen und neu zu erklären. Hält auch den Kopf frisch, hoffe ich.
Das alles fließt dann notwendig auch in die eigene Arbeit ein, allerdings sicher ohne das man direkt mit dem Finger drauf zeigen könnte….