Methoden der Kunst

In “Kompositorischer Wendepunkt” hab ich anhand dreier Beispiele beschrieben, was sich ab einem bestimmten Punkt im Entstehungsprozess in der kompositorischen Heransgehensweise verändert hat. In allen drei Fällen handelte es sich nicht einfach um eine Veränderung, sondern es kam stets etwas hinzu, nämlich eine spezifische Form von künstlerischer Wissensgewinnung, die nicht intellektuell ist.

Alle beschriebenen drei Arten der Wissensgewinnung entstanden nach derjenigen Reise ins Koster Menri, bei der es weder ums Forschen noch ums Komponieren gehen sollte, sondern um die Teilnahme an einer Bestattung. Es war also eigentlich ein “ungeplanter Zwischenfall”.
Die Reisetagebücher machen sicher deutlich, dass dieser “Zwischenfall” zutiefst prägend und beeindruckend war. Trotzdem ist es nicht einfach, eine logische Erklärung dafür zu finden, was die Erlebnisse während der Verbrennungszeremonien des Bön-Oberhauptes mit dem von mir beschriebenen Erwerb von Klangwissen, einer neuen Form von Körper-Ton Synästhesie oder dem vermehrten Auftreten von kompositorischem Momentwissen zu tun haben könnten.

Bei nüchternen Betrachtung drängt sich mir jedoch ein Verdacht auf, von dem ich glaube, dass ich nicht die Erste bin, die ihn äußert:

Gerade der Umstand, dass ich jede Intention zu Komponieren für die Dauer des 10tägigen Aufenthalts losließ, führte dazu, dass Prozesse im Unterbewussten möglich wurden, die zu der Entwicklung neuer Arten des kompositorischen Wissenserwerbs führten.

Es könnte also das völlige Loslassen gewesen sein, dass dazu geführt hat, dass sich neue Arten von Wissen und kompositorischen Herangehensweisen entwickeln.

Eigentlich wissen wir das, oder? Wir brauchen Phasen des Nicht-Denkens, des Nicht-Intentionalen, des Nicht-Rationalen, des Absinkens ins rein Subjektive (des Träumens), des Nichts-Tuns.

Im Rahmen meines Forschungsprojektes wurde mir eine solche Phase quasi per Zufall “aufgedrängt”. Ich glaube aber, dass man so etwas nicht dem Zufall überlassen muss.

Es könnte eine der Aufgaben der “künstlerischen Forschung” werden, die Notwendigkeit zum Nicht-Denken und Nicht-Wollen sinnvoll in ihr Fach zu integrieren. Ähnlich wie in dem Artikel “Von der Unmöglichkeit einer live-Dokumentation” bin ich mir allerdings nicht sicher, ob Methoden, die mit der Forderung zusammenhängen, den künstlerischen Prozess im Vollzug zu reflektieren, d.h. eine permanente live-Dokmentation der eigenen künstlerischen Handlungen zu erstellen, hierfür wirklich der geeignete Weg sind.

Abgesehen davon, dass in sehr vielen Fällen gar nicht klar ist, welche Handlung oder welche Wahrnehmung des täglichen Lebens für einen künstlerischen Prozess tatsächlich von Relevanz ist und welche nicht, kann ständige und pausenloses Reflektieren, so meine ich, dem künstlerischen Prozess sogar im Weg stehen.

Ich bin erst ein Jahr später in der Lage gewesen, die Veränderungen, die sich nach dem kompositorischen Wendepukt einstellten, auch zu verbalisieren. Im Moment ihrer Entstehung und Anwendung war mir dies nicht möglich.

In Bezug auf künstlerische Projekte wäre ich deswegen vorsichtig mit allen Versuchen, Kunst mit verbaler Wissenschaft “anreichern” zu wollen.

Kunst, so scheitn es mir, kann ihre eigenen Methoden der Wissensgewinnung generieren. Vielleicht haben sowohl dieser als auch der Artikel über den kompositorischen Wendepunkt angedeutet, worum es bei diesen Methoden gehen könnte.